Mode und Moral
Auf den Messen der Fashionweek:
Häuser voller Hallen, Hallen voller Stände, Stände voller Kleidung. Dazwischen Menschen, die sich aus ganz speziellen Gründen für die ausgestellte Mode interessieren. Die einen wollen sie präsentieren und verkaufen, die anderen wollen Bestellungen für ihr Ladensortiment machen, die nächsten verschaffen sich einen Überblick über die kommenden Trends und neuen Labels, treffen Bekannte und knüpfen Kontakte. Und dann gibt´s da noch diese Presseleute, die für oder über die Modebranche berichten. Zu letzteren gehören (im Kleinformat) auch wir von Mlle Marie! Und da wir völlig unabhängig berichten können, müssen wir nicht nur die schönen und angenehmen Seiten der Mode thematisieren.
Denn angesichts der ungeheuren Berge an Bekleidung, die jährlich produziert werden, um den seltsamen Vorgaben der Trends zu genügen und die Textilindustrie am Laufen zu halten, fragt man sich schon, ob Mode eigentlich moralisch vertretbar ist.
Denn es ist nicht zu bestreiten, dass die Mode-Produktion und unser Mode-Konsum verheerende Auswirkungen auf viele ArbeiterInnen sowie auf die Umwelt hat. Beispielsweise die unwürdigen Arbeitsbedingungen in vielen Fabriken und die meist ungenügende Bezahlung. Ebenso die CO²- Emissionen, die entstehen, weil die Waren nicht an einem Ort hergestellt werden, sondern zu vielen verschiedenen Orten transportiert werden und die Flüsse, die durch Chemikalien wie Färbemittel verseucht werden. Das Schlimme ist: Diese Probleme sind allgemein bekannt. Und dennoch konsumieren viele rücksichtslos, angetrieben von den Interessen der Industrie (Geld nämlich, was sonst). Natürlich gilt das Problem für alle Konsumgüter, aber im Gegensatz beispielsweise zu Lebensmitteln erscheint der Mode-Konsum so unverhältnismäßig, da er viel höher ist als der tatsächliche Verschleiß der Textilien!
Wer kennt das nicht: Ein bestimmter Stil kommt auf, ein Schnitt, ein Muster, kurz: ein Trend. Er gefällt dir, andere beginnen schon, damit herumzulaufen, schnell, beeil dich! Wenn du jetzt nicht einsteigst, bevor der Trend überreif wird und H&M die hundertste Version herausbringt, die selbst die unmodischsten Haushalte erreicht- dann ist es zu spät, dann gehörst du dem Mainstream an.
Anders herum: Kleidung in deinem Schrank, die vor drei Jahren in war, wandert heimlich, still und leise nach hinten, weil sie von jüngeren Kleidern verdrängt wurde. Wenn man sie wiederentdeckt, meint man gelegentlich, sein Geschmack hätte sich geändert, das mag vielleicht stimmen, vielleicht hat sich aber auch nur der kurzlebige Geschmack der Industrie geändert. So oder so werden viel zu viele Kleider weggeschmissen, weil sie den BesitzerInnen nicht mehr gefallen. Nicht weil sie unreparierbar kaputt sind.
Also, was tun? Modeströmungen ignorieren und die Sachen tragen, die einem wirklich gefallen, bis sie auf dem Leib zerfallen? Das wäre auf jeden Fall ökologischer. Wenn du das durchhältst, ohne dich zu langweilen und die blöden Kommentare deiner Mitmenschen an dir abprallen, sage ich: „Herzlichen Glückwunsch!“
Die Wirtschaftsangehörigen würden natürlich kontern: „Wenn alle sich so wie du verhalten würden, würden viele, viele Menschen in bitterer Armut leben, deren Broterwerb jetzt in der Textilbranche liegt! Aber nicht nur das, die Mode würde dadurch abgeschafft! “
Die Kreativen jammern: „Aber Mode ist doch eine Kunstform, das Ausdrucksmittel des Zeitgeistes, ständig im Wandel nicht nur durch die Interessen des Marktes, sondern vor allem durch den Wandel der Gesellschaft geleitet! Mode muss Käufer haben, um sinnvoll existieren zu können, und Menschen müssen Mode haben, um als Individuum in der Gegenwart existieren zu können!“
Da schaltet sich eine Historikerin ein: “ Wenn wir uns die Geschichte der Mode anschauen, so müssen zwei Faktoren beachtet werden. Erstens existierte Mode, im Sinne von gesellschaftlich geprägter Bekleidung und der damit verbundenen Abhängigkeit zwischen Kleidung, Individuum und gesellschaftlicher Entwicklung, schon immer (man nehme als Beispiel die Geschichte des Korsetts). Zweitens ist es ein relativ neues Phänomen, dass Mode für die breite Masse zugänglich ist. Noch vor gut hundert Jahren war Modeinteresse eine Luxusbeschäftigung der Oberschicht. Die meisten trugen Kleidung also tatsächlich, bis sie völlig zerlumpt war, und die Mode existierte trotzdem und wandelte sich.“
Wirtschaft: „Das ist doch überhaupt nicht zu vergleichen! Früher hingen auch noch nicht so viele Arbeitsplätze von der Textilindustrie ab wie heute!“
Historikerin: „Genau, das war nämlich gar nicht nötig. Selbst wenn der durchschnittliche Mensch ein größeres Einkommen gehabt hätte, hätte er seinen Kleiderschrank nicht so vollgestopft, wie es der heutige Durchschnittsmensch tut! Der Grund dafür liegt u.a. darin, dass die Qualität der Textilien damals viel höher war. Ein Mantel war z.B. eine richtige Investition, aber die zahlte sich aus, indem er dann die nächsten Jahrzehnte getragen wurde und oft noch weitervererbt werden konnte! Außerdem veränderten sich Modetrends viel langsamer als heutzutage, sodass man auch als modischer Mensch nicht alle zwei Jahre seine Garderobe auswechseln musste.“
Wirtschaft: „Ja, dass manchmal die Qualität abnimmt, ist schade, aber sie ist der Preis dafür, dass viele Menschen Zugang zu Mode haben. Da kann der Maßschneider eben nicht mehr seine zwei Tage an einem Mantel arbeiten! Der heutige Konsument ist nicht mehr so leicht zu befriedigen, da er durch die Medien auch in Sachen Trends bestens informiert ist.“
Kreative: „Dass die Trends immer schneller wechseln, wird natürlich maßgeblich durch die Medien beeinflusst. Unsere schnelllebige Mode resultiert aus unserer gesamten schnelllebigen, globalisierten Welt und ist deswegen nicht aufzuhalten.“
Nicht aufzuhalten? Das klingt nicht gut. Müssen wir wirklich ein kleines Zahnrad sein, dass sich immer schneller und schneller dreht, nur weil der Geschwindigkeitsregler hochgezogen wird? Die Frage ist: Wer bedient den Regler, wenn wir alle Zahnräder ohne freien Willen sind?
„Ich sage es euch“, flüstert die Kapitalismuskritikerin, „es ist die unerbittliche Wirtschaft, die zum Selbstzweck geworden ist und sich zur Herrschaft über alles und jeden aufgeschwungen hat!“
Und du, was meinst du zu diesem Thema? Wie sollte sich ein verantwortungsvoller Konsument verhalten?
Hallo Jule,
also dein Bericht ist super toll geschrieben!
Zwar ist der Massenkonsum kritisch zu betrachten, jedoch ist es wichtig zu erwähnen, dass es auch zwei nachhaltige und ökologische Messen gab: die Greens und die Ethical.
Dort wird genau deine Kritik angesprochenen: Es muss sich etwas verändern, damit unsere Erde weiterhin bestehen kann! Ein Anfang ist eine Modebranche aus ökoinnovativen Textilfasern (z.B. Seacell, QMilk oder Bio-Baumwolle).
Auf der anderen Seite muss man unterstützend sagen, das die meisten Labels der nachhaltigen Mode nicht so wirklich modisch sind bzw. eine andere Zielgruppe ansprechen.
Ich stimme dir voll und ganz zu!!! Und möchte dich nochmal daran erinnern, das du ein wunderbares Schreib-Talent hast!
Liebes Redaktionsteam,
vielen Dank für den tollen, differenzierten Artikel! Er spricht mir in vielen Dingen aus der Seele.
Als Antwort, wie man aus dem unfairen, unökologischen Kreislauf austreten kann, hätte ich auch auf die Bio-Mode verwiesen. Aber das hat ja schon Franka getan.Danke!
Mein persönlicher Alternativ-Vorschlag zum Thema ist, lieber einen eigenen Stil zu entwickeln, als den von der Wirtschaft oktroyierten Trends hinterher zu hecheln. Das ist aufregender, billiger und wesentlich nachhaltiger.
Für alle, denen das zu aufregend ist, noch ein anderer Vorschlag: Nur das neu zu kaufen, was man wirklich richtig, richtig schön findet und unbedingt braucht. Da würden sicher auch schon viele Textilien wegfallen, weil das meiste doch eh – bei Lichte betrachtet – nicht wirklich modisch, also ästhetisch anziehend aussieht. Warum also einem Trend hinterher hecheln, wenn er nur doof aussieht? Oder ist Trend wichtiger als Aussehen?
Hallo Jule- Deinen Artikel fand ich sehr reizvoll, weil er zeigt, dass Kleidung eine Sichtbarmachung dessen bedeutet, was evtl. politisch, wirtschaftlich, religiös gehört, geredet u. empfunden wird– individuell doch massiv oft tangiert u. es zu diesem Gesamtkomplex ja tatsächlich keine Konvente gibt! Dennoch Gruppierungen, Zugehörigkeiten, pol. Agressionen– Mode also als ästhetisch dargestellte Momente u. Zugehörigkeiten–
Du widmest Dich diesem Thema- dieser Auflösung auch von Normen- einer stetigen Infragestellung! Sehr gut!
Und zudem zeigen sich mit u. in der Mode des öfteren schneller neue Denkmuster als verbal neu definierte Systeme!
Passe ich also gut auf: Ist es Mode oder Angriff, wenn unsere Katze sich die Krallen färbt?
Weiterhin gutes Arbeiten dem Redaktionsteam!